14.04.20 Interview der Woche
Der 24-jährige YB-Mittelfeldspieler Vincent Sierro ist nicht nur auf dem Fussballplatz versiert, sondern auch sprachlich. Und er hat bereits einen Bachelor in Wirtschaft im Sack.

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"Für mich ist das Glas immer halb voll"

Vincent, in wie vielen Sprachen könntest Du dieses Interview geben?
In vier Sprachen. Französisch ist meine Muttersprache, mit Deutsch und Englisch klappt es gut. Und mit Spanisch habe ich kein Problem.

Und Schweizerdeutsch verstehst Du auch.
Ja, aber reden… Höchstens ein paar Wörter. Und je nach Dialekt wird es komplizierter, alles zu verstehen. Anfänglich hatte ich Mühe, Marvin Spielmann zu folgen, wenn er schnell sprach. Und wenn er dann mit Christian Fassnacht und Sandro Lauper diskutierte, musste ich mich ziemlich anstrengen. Mittlerweile brauche ich keine Übersetzung mehr. (lacht)

Woher kommt Deine Affinität zu Sprachen?
Mich haben sie immer schon fasziniert, weil sie Verbindungen zu anderen Kulturen und Menschen herstellen. Ich habe Spanisch gelernt, weil ich gerne in Spanien bin und mir auch Lateinamerika gefällt. Wenn ich in solchen Ländern unterwegs bin, möchte ich mich mit den Leuten austauschen können. Man kann sich schon mit Englisch durchschlagen, aber das ist nicht dasselbe. Die Gespräche gehen nie gleich tief. Sobald keine sprachliche Barriere mehr da ist, kommen auch die Feinheiten besser zum Vorschein, die Emotionen.

Hast Du Spanisch in der Schule gelernt?
Nein. Nach der Matur spielte ich bei Sion in der U21 und hatte daneben genügend freie Zeit. Während einiger Wochen habe ich intensiv Wörter gelernt und begonnen, spanische Sportzeitungen zu lesen. Ich verstand schon viel, merkte aber, dass ich mit dem Wortschatz noch nicht viel anfangen konnte. Das heisst, es musste mir jemand beibringen, Sätze zu formen. Ich hatte das Glück, dass bei uns in der Nachbarschaft eine Spanischlehrerin lebte. Bei ihr nahm ich vier Monate lang Privatunterricht. So machte ich rasch grosse Fortschritte.


Vincent Sierro im Einsatz gegen den FC Zürich.

Kommt bald noch eine Fremdsprache hinzu?
Italienisch interessiert mich. Vielleicht packe ich das im nächsten Jahr an. Ich will die Zeit, die ich neben dem Fussball habe, nützen. Und wenn man sieht, wie man vorankommt, macht es erst recht Spass.

Du hast einen Bachelor in Wirtschaft gemacht. Planst Du eine Fortsetzung des Studiums?
Im vergangenen Sommer habe ich die Prüfungen bestanden und mache nun eine Pause. Der Master ist ein Thema, aber das ist in einem Fernstudium nicht möglich wie der Bachelor.

Denkst Du bereits an die Zeit nach Deiner Karriere als Fussball-Profi?
Nicht unbedingt. Mich interessieren einfach viele Dinge, die Sprachen zum Beispiel oder die Wirtschaft. Ich glaube, wenn man da eine Ausbildung vorweisen kann, öffnet das im Berufsleben einige Türen.

Liest Du in der Zeitung zuerst den Wirtschafts- und danach den Sportteil?
Nein, an erster Stelle ist immer noch der Sport. Danach lese ich Artikel mit wirtschaftlichen Themen, aber auch politischen. Ich möchte gut informiert sein, was auf der Welt passiert.

Als Sohn eines ehemaligen Politikers bist Du dazu ja fast verpflichtet.
Er hat schon Einfluss. Mein Vater, aber auch meine Mutter wünschten sich, dass ich neben dem Fussball die Ausbildung nicht vernachlässige, um für das Leben nach der Profi-Karriere gerüstet zu sein. Und ausserdem könne ich nicht sicher sein, den Durchbruch im Sport zu schaffen. Darum war früh klar, dass ich das Gymnasium besuche, die Matur mache und einmal ein Studium aufnehme. Ich habe es nie bereut.

Ist es auch denkbar, dass aus Dir eines Tages ein Politiker wird?
Wer weiss. Politik hat mich in jüngeren Jahren nicht besonders gereizt, aber das hat sich schon ein bisschen geändert. Gerade in Zeiten der Coronakrise beobachte ich, wie sich die Politiker verhalten, was sie sagen, wie sie die Schwierigkeiten meistern. Ich verfolge die Pressekonferenzen, lese viel und muss sagen: Die Behörden machen mir Eindruck. Ich weiss, dass sie keinen einfach Job haben.

Redest Du daheim mit Deinen Eltern mittlerweile auch über politische Belange?
Als ich jung war, dominierte das Thema Fussball am Mittagstisch. Das interessierte auch meine Eltern. Jetzt hat sich das ein bisschen geändert. Wenn wir alle zuhause sind, auch meine Brüder, die in der Berufswelt tätig sind, haben wir ganz viel Stoff zu bereden.

Du bist der Sohn waschechter Walliser, die Fans des FC Sion waren. Oder immer noch sind?
Die Sympathien gehören immer noch dem Club. Aber sie unterstützen in erster Linie mich.

Das heisst, sie hoffen darauf, dass YB Meister wird und Sion Platz 2 belegt?
Das wäre die ideale Konstellation. (schmunzelt)


Nach starkem Start bei YB fiel Sierro im Herbst mit einer Knieverletzung aus.

Anfang 2017 hast Du deinen Heimatkanton verlassen und beim SC Freiburg unterschrieben. Was hast Du von Trainer Christian Streich gelernt?
Er hat grossen Wert auf taktische Belange gelegt und uns anhand von Videos immer wieder aufgezeigt, in welcher Phase des Spiels wir uns wie zu verhalten haben. Davon habe ich in den eineinhalb Jahren eine Menge profitiert. Und ich habe in der Bundesliga gelernt, dass jeder Match hart umkämpft ist.

Wie war Streich im Umgang mit den Spielern?
Er kann sehr streng und emotional sein. Daran musste ich mich zuerst gewöhnen. Aber er ist ein Trainer, der alles für den Verein tut und dem es ein Anliegen ist, dass die Spieler besser werden.

Bist Du mit Freiburgern heute noch in Kontakt?
Mit Robin Koch und Lukas Kübler oder auch Marco Terrazzino, der an Dresden ausgeliehen ist. Wir hatten damals einen ausgezeichneten Teamgeist. Mit fünf, sechs Spielern verbrachte ich fast täglich auch viel Zeit neben den Trainings.

Hast Du seit Deinem Weggang aus Freiburg auch mit Christian Streich nochmals gesprochen?
Im letzten Sommer hat er mich angerufen, als meine Zeit der Ausleihe bei St. Gallen zu Ende ging. Er sagte mir offen, dass er mir keine regelmässigen Einsätze garantieren könne. Dann ergab sich für mich mit YB eine ideale Lösung. Jetzt bin ich in Bern. Und froh darüber.

Bern ist für Dich nach Freiburg und St. Gallen Deine dritte Station. Kannst Du Dich überall anpassen?
Wir Walliser tun uns nicht sehr schwer, uns ausserhalb unseres Kantons zurechtzufinden. Die gute Arbeitseinstellung erleichtert die Integration. Ich hatte noch nie Mühe, mich an einem neuen Ort zu integrieren. In Deutschland hatte ich anfänglich nur etwas Schwierigkeiten, weil ich die Sprache nicht richtig beherrschte.

Wie ist das Leben in Bern?
Sehr gut! Ich mag die Mentalität hier, die Entspanntheit, oft sehe ich Menschen mit einem Lächeln, ich fühle mich hier willkommen. Und ein bisschen wie im Wallis. In St. Gallen ging es mir auch gut, aber das Wetter war gewöhnungsbedürftig. Ich komme aus Sierre, einer der sonnigsten Gegenden der Schweiz. In St. Gallen habe ich die Sonne nicht so oft gesehen.

Du hast in Freiburg und in St. Gallen Mitspieler eingeladen und ihnen ein echtes Walliser Raclette serviert. Hast Du das in Bern auch schon getan?
Nein, leider kam es noch nicht zustande. Vorgesehen war es für Ende März, dann kamen die Anordnungen der Behörden. Aber wir holen das natürlich nach.

Im nächsten Winter?
Ich weiss schon: Die Deutschschweizer verbinden das Raclette mit Winter. Aber wir Walliser essen Raclette auch im Sommer, ganz gemütlich in geselliger Runde. Als ich in Freiburg und St. Gallen das Raclette machte, waren alle begeistert. Sie sagten, das habe mit dem, was sie bisher unter Raclette verstanden, nicht viel zu tun. (lacht)

Dann ist es nicht verkehrt, Dich als Raclette-Experten zu bezeichnen.
Sagen wir es so: Ich habe schon oft Raclette gegessen, ich weiss, wann die Qualität gut ist. Und wann eben nicht.

Du bist erst 24 und hast als Profi noch manches Jahr vor Dir. Wie sieht dein Karriereplan aus?
Derzeit denke ich nur an YB.

Verschwendest Du keine Gedanken an einen Transfer ins Ausland?
Als Spieler hat man natürlich Träume. In meinem Fall handelt der Traum von einem Wechsel nach Spanien. Aber ich betone es: Es ist ein Traum. Und darüber lohnt es sich frühestens dann zu reden, wenn sich eine Möglichkeit anbieten würde. Meine ganze Konzentration gehört YB. Ich habe 2019 einen Vierjahresvertrag unterschrieben mit dem Ziel, Erfolge zu feiern. Die Saison hat gut begonnen, aber dann zog ich mir eine Verletzung zu, die mich zu einer längeren Pause zwang. Jetzt ist es das Wichtigste, wieder auf den Platz zurückzukehren und zu alter Form zu finden. Was in weiter Zukunft sein wird, damit beschäftige ich mich nicht.

Du hast im Herbst zweieinhalb Monate verletzungsbedingt zuschauen müssen. Wie ist es Dir gelungen, positiv zu bleiben?
Eine Verletzung ist nie willkommen. In meinem Fall erlitt ich sie, als wir neben der Meisterschaft mitten in der Europa-League-Kampagne steckten und sehr wichtige Partien anstanden. Aber für mich ist das Glas immer halb voll und nie halb leer, ich sehe für mich keine andere Option. Es entspricht meinem Naturell, optimistisch zu bleiben, auch wenn es Rückschläge gibt. Man kann auch mit einer Verletzung gute Momente erleben, etwa dann, wenn man merkt, dass es Schritt für Schritt aufwärts geht.

Du sprichst Spanisch, magst Spanien als Land - es würde überraschen, wenn Dein Lieblingsclub nicht einer aus La Liga wäre…
...es ist einer aus La Liga: Real Madrid. Ich war als Bub schon Fan, und Zinédine Zidane war für mich ein Idol wie für viele. Später bewunderte ich Cristiano Ronaldo, vor allem auch deshalb, weil er eine aussergewöhnliche Einstellung zum Beruf hat.

Wer ist für Dich der beste Mittelfeldspieler der Welt?
Eine zeitlang war es der Kroate Luka Modric. Miralem Pjanic ist ebenfalls hervorragend. Und etwas früher bildeten Xavi und Andres Iniesta ein unglaublich starkes Duo…

... bei Reals Rivale FC Barcelona…

... ja, das war als Real-Fan hart mitanzusehen. Aber ich muss zugeben: Sie waren einfach richtig gut.


Vincent Sierro kam im Sommer 2019 vom SC Freiburg zu YB, nachdem er die Saison 2018/19 leihweise in St. Gallen gespielt hatte.

Zum Schluss wären noch ein paar Sätze zu vervollständigen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte…
... gäbe es auf der Welt keine Hungersnot.

Das eindrücklichste Stadion, in dem ich spielte…
… ist neben dem Stade de Suisse die Veltins-Arena von Schalke. Da herrschte eine ganz tolle Ambiance.

Meine Ferien verbringe ich am liebsten…
... irgendwo an der Sonne. Das kann auch gut im Wallis sein. Ich bin gerne mit Freunden an einem kleinen See, wir kicken und haben Spass zusammen. Sonne, Fussball, See, Freunde - was will man mehr?

Der grösste Spassvogel bei YB ist…
... Nicolas Moumi Ngamaleu. Er ist immer gut aufgelegt und bringt eine gute Stimmung in die Mannschaft.

Mein Geheimtipp in Bern ist…
... der Münsterplatz - und dort das Café Einstein.

[pd][sst]


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